Leben und Werk von Nikolaus Reinartz,
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Ist die Gründungsgeschichte Mariawalds wirklich eine Sage?
Von P. Cyrillus Goerke aus der Abtei Mariawald

In den letzten fünf Nummern der Heimatblätter der „Dürener Zeitung“ hat Dr. Heinen versucht, den Beweis zu erbringen, die Gründungsgeschichte von Mariawald sei eine Sage. Ob ihm dieser Beweis geglückt ist? Heinen hat zwar zu seinen Ausführungen einige der gedruckten Quellen eingesehen, aber man vermißt die Benutzung von handschriftlichen Quellen, die doch zur Beurteilung der Frage von größter Wichtigkeit sind. Vielleicht wäre Heinen dann auch zu einem anderen Ergebnis gekommen, und wären seiner Abhandlung Unrichtigkeiten nicht unterlaufen.

Schon daß er in Nr. 19 S. 148 die Unechtheit der Erzählung Radermächers dadurch beweisen will, daß in der uns erhaltenen Abschrift die Schreibweise mitunter abweicht von der des 16. Jahrhunderts, überzeugt doch nicht. Wer auch nur einigermaßen mit dem Studium von Handschriften, deren Uebersetzungen oder Abschriften vertraut ist, weiß, daß Uebersetzer und Abschreiber sich oft der Ausdrucks- oder Schreibweise ihrer Zeit bedienen, anstatt der ihnen weniger geläufigen Ausdrucks- oder Schreibweise des Verfassers. So liegen vor mir drei zu verschiedenen Zeiten gedruckte Wiedergaben der Erzählung Radermächers, und alle drei weichen in manchen Punkten voneinander ab.

Aehnlich verhält es sich mit dem Widerspruch, den Heinen in der von mir herausgegebenen Geschichte von Mariawald festzustellen wähnt. Ja wenn die Sache so wäre, wie Heinen meint ... Aber ... Bisher ... hat wohl niemand geglaubt, daß die im Bruderschaftsbuch wiedergegebene Erzählung eine eigenhändige Niederschrift des P. Brewer ist. Man hat diesen Wortlaut immer für ein Transsumpt gehalten. (dieser Ansicht war auch der † Prof. Dr. Schroers). Vergleicht man übrigens diese Handschrift mit dem einen oder anderen von P. Brewer während seiner Amtszeit als Prior ausgefertigten oder unterzeichneten Vertrag, so erkennt man ohne Mühe zwei ganz verschiedene Handschriften. Doch zu dieser Gewißheit führt nur die Einsicht in die handschriftlichen Quellen.

Auf derselben Seite ist Heinen noch ein kleiner Irrtum unterlaufen. Er schreibt, ich hätte auf S. 6 der Geschichte von Mariawald den 24. November als Todestag Radermächers bezeichnet. Und ich spreche weder vom 24. November, noch von einem Todestag, sondern führe an: „Nekr. II 21, November Jahrgedächtnis usw. Heinen hat also 21 mit 24 und Jahrgedächtnis mit Todestag verwechselt, denn ich möchte nicht annehmen, daß er „memoria“ (Jahrgedächtnis) mit Todestag übersetzt. Das könnte höchstens derjenige, der nie einen Nekrolog gesehen hat. Doch das nur nebenbei.

Kommen wir zur eigentlichen Begründung Heinens. Er sagt: Die Gründungsgeschichte Mariawalds ist eine Sage weil: 1. Die Urkunden weder den Namen Fluitter, noch das Vorhandensein des Bildes der Schmerzhaften Mutter erwähnen; 2. die Nekrologe den Namen Fluitter nicht anführen; 3. Axer, der nach ihm seine Geschichte 1664 geschrieben und alle Quellen benutzt hat, die Erzählung von Radermächer nicht kannte, da er dessen und Fluitters Namen nicht angibt.

1. Gewiß führen die Urkunden oft den Namen des Stifters einer Kirche oder Kapelle an, doch nicht Fluitter, sondern Pfarrer Duimgen war der Stifter der Kapelle auf dem Kermeter, und sein Name ist auch des öfteren in den Urkunden erwähnt. Auch wird in den Urkunden nicht immer angegeben, unter welchem besonderen Titel die Gottesmutter oder ein Heiliger in der betreffenden Kirche oder Kapelle verehrt wird. Selbst in den späteren Urkunden ist fast nie die Rede von dem Bilde der Schmerzhaften Mutter, ausgenommen, wenn es sich um die Bruderschaft von den 7 Schmerzen Mariä handelt. Man sagte: Wir gehen zum Wald, oder zur Mutter im Wald, ebenso wie man heute sagt: Wir gehen, pilgern nach Heimbach. Auf jeden Fall sind das Bestehen der Kapelle auf dem Kermeter als Gnadenkapelle und das Bestehen der Wallfahrten zu ihr durch die Urkunden der zwei letzten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts nachgewiesen. Der Wallfahrtscharaker einer Kirche oder Kapelle ist aber etwas besonderes und setzt voraus, daß die betreffende Kirche oder Kapelle über einen hervorragenden Anziehungspunkt verfügt. Das Bild der Schmerzhaften Mutter aber übte die Anziehungskraft aus auf die zahllosen Scharen, die zum Kermeter pilgerten. Dies war doch auch der Grund, weshalb Bottenbroich die Kapelle übernahm. Somit können die Mönche doch nicht erst später das Bild dorthin gestellt haben.

Daß die Klosterkirche nicht in besonderer Weise der Schmerzensmutter geweiht war, ist kein Beweis, daß die 7 Schmerzen Mariä dort nicht in besonderer Weise verehrt wurden. Obgleich, wie Heinen ja auch zugibt, viele Pilger nach Mariawald kamen, um daselbst die Mutter Gottes zu verehren, obgleich, wie die Urkunden einstimmig hervorheben, viele Wunder in der Kapelle geschahen, wurde die 1511 fertig gestellte Kirche nicht an erster Stelle der Mutter Gottes geweiht. Auch das darf uns nicht wundern, denn viele Muttergottes-Wallfahrtskirchen haben mehrere Patrozinien, und nur eine Kapelle oder ein Altar ist der Mutter Gottes geweiht. Axer sagt, daß die Kirche errichtet wurde: „der untheilbaren h. Dreifaltigkeit zu Ehren sub patrocinio der hochgelobter Jungfrau Mariae.“

2. Die Nekrologe erwähnen den Namen Fluitter nicht. Es kann sich hier nur um Nekrolog I. handeln. Dieser weist aber sehr viele Lücken auf, denn ein bedeutender Teil desselben ist verloren gegangen. Man hat manches, höchstwahrscheinlich aus dem Gedächtnisse, [aufgeschrie]ben. Diese Ergänzungen sind sehr unvollständig. Das mag auch der Grund sein, warum die Namen vieler, die mit dem Kloster in engster Verbindung standen, nicht angeführt sind.

3. Den Hauptbeweis seiner Behauptung glaubt Heinen aber darin zu finden, daß Axer die Namen Fluitter und Radermächer nicht erwähnt. Wenn Heinen die Aufzeichnungen von Axer behandelt, ist er vielleicht ohne sich dessen bewußt zu sein, nicht ganz objektiv. Axers Bericht ist für ihn Wahrheit, solange und soweit er für seine Behauptungen paßt; z. B. Axer spricht nicht von Fluitter, also hat Fluitter nicht existiert. Axer spricht von einem Bilde der Schmerzhaften Mutter, das auf dem Kermeter verehrt wird, aber hier ist Axers Angabe für Heinen nicht beweiskräftig. Axer sagt, daß die hölzerne Kapelle vor Beginn des Baues der Kirche abgebrochen wurde. Eine handschriftliche Quelle aber beweist, daß Axer in diesem Punkte Unrecht hat, doch Heinen glaubt seinem Kronzeugen Axer, folglich muß die handschriftliche Quelle irren. Und wie will Heinen beweisen, daß die von Radermächer überlieferte Gründungsgeschichte Mariawald vor Axer nicht bekannt war? Die Behauptung allein macht doch eine Sache noch nicht wahr! Im Stadtarchiv zu Köln befinden sich nämlich noch Urkunden, die Zeugnis ablegen, daß lange vor Axer die Gründungsgeschichte Radermächers und auch der Name Fluitter bekannt waren. Kein Geringerer als der 1585 geborene und 1631 gestorbene Johannes Gelenius, der ein lebendiges Geschichtslexikon genannt wurde, führt an zwei Stellen seiner „Farragines“ die Gründungsgeschichte Mariawalds an, einmal in lateinischer und ein andermal in deutscher Sprache. Gelenius ist ja berühmt wegen seiner Sammlung von Chroniken, Ordensgeschichten usw. Er wird doch seine Angaben, die im gewissen Sinne noch ausführlicher sind als die von Radermächer, nicht niedergeschrieben haben, ohne eingehende Prüfung der Quellen, denen er sie entnommen. Sind nun die von dem als durchaus zuverlässigen Geschichtsforscher bekannten Gelenius gemachten Angaben auch nicht beweiskräftig? Auf jeden Fall ist die Schlußfolgerung Heinens: „Axer hat es nicht, also ist es nicht“ und die andere: „Vor Axer wußte man nichts von der Erzählung Radermächers, also ist diese Erzählung erst nach Axer entstanden“, zum mindesten sehr gewagt, da schon Gelenius eingehend die Gründungsgeschichte schildert und den Namen Fluitter erwähnt. Solange demnach Heinen nicht den Beweis erbringt, daß die Angaben von Gelenius nicht beweiskräftig sind, solange bleibt auch für die Glaubwürdigkeit seiner Behauptung (um mich seiner Worte zu bedienen) der letzte Boden entzogen.

Doch eine andere, für die Gründungsgeschichte Mariawalds sehr wichtige Quelle hat Heinen übersehen, nämlich die in Gedichtform verfaßte Geschichte von P. Bremendhal, der seine Arbeit eine „wahrheitsgetreue Schilderung des Anfangs und Fortgangs von Mariawald“ nennt. In seiner Einleitung sagt er ausdrücklich: „Non est mythistoria in-et progressus Mariani Nemoris, sed e radicibus archivi et manuscriptorum, quae [mibi] aliquando inspicere licuit ... d. h. Nicht ist diese Schilderung eine Fabel (Sage), sondern ich habe sie aus den Archiven und Handschriften ...“ P. Bremendhal beruft sich auf einen Johannes Hamecher, der Notar in Heimbach gewesen, ein mit dem Lorbeer der Kölner Schule geschmückter Dichter war und die Geschichte der Erzdiözese Köln verfaßt hat. Er war Zisterzienser, ist aber später ausgetreten oder entlassen worden. Leider ist die Geschichte Hamechers wie so viele Urkunden Mariawalds verloren gegangen. P. Bremendhal spricht sehr eingehend von Fluitter und den anderen Wächtern des Gnadenbildes und schildert weit ausführlicher als Radermächer die ganze Gründungsgeschichte. Noch könnte ich hinweisen auf die Visitationsberichte von Anfang des 16. Jahrhunderts und auf andere Handschriften. Doch was in diesen Manuskripten enthalten ist, konnte Heinen ja nicht wissen, da er keine handschriftlichen Quellen eingesehen, sondern die ganze Gründungsgeschichte nur im Lichte einiger der gedruckten Quellen betrachtet hat.

Auch die Tatsache, daß die Gründungsgeschichte Mariawalds hat Aehnlichkeit mit der von Eberhardsklausen ist durchaus keine außergewöhnliche Erscheinung. Man denke nur an die zahlreichen Engel- oder Christusweihkirchen und Kapellen, besonders im 9., 10., 11. und folgenden Jahrhunderten in ganz verschiedenen Ländern.

Wenn Heinen nun auch am Schluß seiner Ausführungen sagt, daß seine Behauptungen für die Verehrung des wundertätigen Bildes in Heimbach belanglos sind, so sind wir doch froher zu wissen, daß die Gründungsgeschichte keine Sage ist, und nicht die Mönche das Bild erst später zur Verehrung aufgestellt haben. Die Mönche wurden zum Kermeter gerufen, um für die Pilger zu sorgen, die in immer größeren Scharen dorthin strömten, um die Mutter Gottes zu verehren. Auch das gläubige Volk wird mit noch größerem Eifer zu dem alten Gnadenbilde pilgern, wenn es weiß, daß die Entstehung dieser Verehrung nicht einer Sage zu verdanken ist.

Uebrigens muß man doch mit dem Konstruieren von Sagen etwas vorsichtig sein. Wenn man auch bei außerordentlichen Begebenheiten nicht leichtgläubig zu sein braucht und erst prüfen soll, ehe man sich dazu bekennt, so wäre es doch auch verkehrt, einfach die Sache abzutun, weil sie außergewöhnlich ist, wie es Heinen noch tun will bei dem Berichte über das Unglück beim Abbruch der Kirche! Das Unglück ist keine Sage, sondern eine Tatsache, die in einem Kirchenbuch berichtet ist.

Und wenn auch bei Klostergründungen mitunter Wunderbares erzählt wird, so folgt daraus noch lange nicht, daß alles „Sage“ ist, denn man kann doch nicht alles Außergewöhnliche in das Reich der Sage versetzen. Daß manche dieses tun, wußte auch schon P. Bremendhal und darum möchte ich die Schlußworte seiner Gründungsgeschichte Mariawalds an das Ende dieser Richtigstellung setzen:

Ad Zoilum.

Exi Mome foras, Zoilino ne utere cornu,
Aut velut Actaeon cornua barda feras.
Dixerat ille nihil, solum audax ora Dianae
Viderat, en canibus praeda fit ipse suis.
Euge! cave nostrum dicaciter ore Dianam
Carpere, vel vultu commaculare tuo,
Auriculus alias asinus, seu Zoile cervus
A Nympha Nemoris tu lacerandus eris.





Heimatblätter, Beilage zur Dürener Zeitung, Nr. 24, 29.11.1934, S. 185-187.


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