Leben und Werk von Nikolaus Reinartz,
Pfarrer und Heimatforscher - Ein Projekt von Nikola-reinartz.de und Nikolaus-reinartz.de





Orts- und Flurnamenkunde vom südwestlichen Bleiberg.
Ein Beitrag zur Siedlungs- und Territorialgeschichte des südlichen Zülpichgaues.

Von Nikolaus Reinartz.


Inhalt *)

Geschichte
I. Ortsnamen und Siedlung
II. Wasser- und Landstraßen
III. Landeshoheit und territoriale Gestaltung
Quellennachweise
Anmerkungen

I. Ortsnamen und Siedelung

Die älteste nachweisbare Namengebung in unserem Bezirke dürfte in Scheven an der Quelle des Bleibaches vorliegen. Mürkens 7) hat richtig erkannt, daß dies die ursprüngliche Benennung des Baches gewesen ist, in der ein vorkeltisches "Secavana" = schneidendes Wasser oder "scabarna" = schabender Bach sich erhalten hätte. Dieser frühere Name des gelegentlich auch "Auelsbach", "Appelbach" genannten Wassers ergibt sich aus dem dreifachen Vorkommen des nämlichen Ortsnamens an dem verhältnismäßig kurzen Bachlaufe: unser Scheven – 1260 Schevene, 1351 Scheyven – am Ursprunge, Schaven am Mittellaufe, Dürscheven – 1104 Scevene 8) – vor der Mündung in den Rotbach. Der Name Bleibach ist dann entstanden von den zahlreichen Erzpochwerken und Bleihütten, die er bis um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Betrieb setzte.

Kaum ein Kilometer nordöstlich Scheven finden wir nun in uraltem 9) Siedlungsgelände den Flurnamen "in Köttigen" – so um 1450; 1661 "in Kettenich" –, in dieser Flur dann (Karte Nr. 19) das "Keespützchen" (1557). Beide im Rheinland nicht seltenen Bezeichnungen führt Cramer 10) auf ein keltisches Grundwort "keito" = Wald bzw. "casnus" (französisch chêne) = Eiche zurück. Aus dem Keespützchen kommt ein Flüßchen hervor, "die Kell" (1512); dasselbe fließt durch die Flur "im Kellen", wo (Karte Nr. 17) sich auch die "Kellenbenden" befinden. Daß das ein wenig abwärts an dem Bächlein liegende Dorf Kalenberg – so 1260; 1465 und öfter Kaellenberg, Callenberg – von demselben seinen Namen hat, kann nicht zweifelhaft sein. Wieder haben wir hier nach Cramer 11) eine keltische Wurzel "callos" = schwarz; gleichzeitig die Namenserklärung noch anderer bergbaulich eingestellten Dörfer in unmittelbarer Nähe.

In dem 2 km südwestlich gelegenen Kallmuth – "muth, munth" wiederum keltisch = Berg 12) – finden wir gleich einen ältern Bruder von Kalenberg, ebenfalls über einem Bachtälchen, dem Kallmuther oder früher "Kallbach" 13) gelagert; ich sage: ältern Bruder, denn während der ganze Name Kallmuth 14) sich als keltische Gründung ausweist, ist Kalenberg durch die deutsche Endung als mittelalterliche Siedlung charakterisiert. 15) Kall – 1238 Calle – 16) ist nicht mit Kelleter 17) von canales = Stollengang, auch nicht von Römerkanal abzuleiten, sondern nochmals von einem "Schwarzbach", der von dem Dorfe Gol(!)bach herabkommt. Auch das nicht an dunklem, beschatteten Bache, sondern auf steilem Berggipfel gelegene nahe Keldenich (1251) 18) ist als keltische oder keltoromanische Niederlassung anzusehen, wenngleich der Name anders, nämlich mit Kaspers 19) von dem gallischen Personen namen Caleto als Caletiniacum, abgeleitet werden dürfte. Bereits Eick 20) hatte auf Grund von Münzfunden, die freilich von Hagen 21) in Zweifel gezogen wurden, die Behauptung vom Bleibergbau der Kelten aufgestellt. Die Häufung keltischer Namen im südwestlichen Teile des Bleibergs, während dieselben im Bleibuirer Bezirke gänzlich fehlen, gibt derselben eine sichere Stütze.

Daß die Römer am Bleiberge die Erzgewinnung – und nicht nur von Bleierz, wie wir sehen werden – betrieben haben, hat Eick 22) einwandfrei nachgewiesen. Die römische Fernstraße Trier – Zülpich – Köln führte an der Ravenley (Karte bei Nr. 20) direkt über den Berg. Unweit derselben liegt auf aussichtsreicher Höhe die bereits 1065 genannte villa Dutlo, das heutige Dottel, 23) ein altes Pfarrdorf. Die rein römische Deutung des Namens kann wohl nicht mehr bezweifelt werden, nachdem in Aachen und Köln Weihesteine an die Tutela loci 24) gefunden wurden. In die Kirchenmauer war ein leider nicht mehr zu entziffernder römischer Inschriftstein eingelassen; 25) bei derselben wie auch in der Flur "auf dem Hausmaar" finden sich römische Ziegel. Ob wir das an oder ganz nahe der Köln – Reimser Straße von Dottel aus nordwestlich sichtbare Düttling – 1181 Dudlingin, 1213 Dudillinege 26) – ebenso deuten dürfen? Auch hier finden sich römische Fundamente in der Flur "auf Heuersch Driesch" (Karte Nr. 2), wahrscheinlich auch in der Flur "Düttling" (Nr. 1) selber. Jedenfalls führte eine Querverbindung dorthin, deren Linie durch die römischen Siedlungen "am Alten Weyer" (Nr. 11), an der obern Wegkreuzung (?) im Dorfe Lückerath, "im Mühlenacker" (Nr. 7), "im Hohnerstock" (Nr. 3) bei Bleibuir und "am Wahlenpütz" bei Bergbuir gegeben ist. An letztgenannter Stelle befinden sich die römischen Reste untermischt mit schwerem Eisenstein, wie in der Flur "auf Kirscheid" bei Heistert (Nr. 29) mit Eisenschlacken. Noch findet man antike Scherben und Ziegel "am Altenberg" bei Scheven (Nr. 15), "auf Schirpenort" bei Bleibuir, zu Heistert "in der ersten Gewann hinter dem Zaun" (Nr. 26), bei Keldenich am Tanzberg, römische Graburnen wurden unterhalb Keldenich "an der Schließenmaar" und "in den Kirchenhüffeln" ausgegraben. 27) Unweit davon führte der Römerkanal durch die Fluren "auf der Rinn" und "auf Rinnerdriesch" (Nr. 25).

Wir kommen in zeitlicher Abfolge zum Ausbau des Siedlungsraumes nordwestlich des alten Bleibergs. Hier begegnet uns als früheste Niederlassung merowingischer oder karolingischer Zeit das Pfarrdorf Bleibuir. Dieser Name ist freilich jüngsten Datums. Im Grenzbegang v. J. 1512 heißt es: Schleidenbuere – von der vormaligen Zugehörigkeit zu Schleiden – nune Bleybuer genannt. Die Namensänderung rührt vermutlich aber auch von einer urkundlich nachweisbaren 28) Neubelebung des allerdings schon früher betriebenen Bergbaues. Im Volksmunde heißt der Ort bis auf den heutigen Tag einfach "Bür", wie er schon vor mehr als tausend Jahren genannt wurde. Wir haben nämlich das im Prümer Urbar von 893 29) genannte "Bure" vor uns, wo die Abtei einen mansus besaß; so auch 1260 Buren, im liber valoris "Burin" 30) (pastor Burinus). Räumlich ganz nahe und wohl auch zeitlich verbunden mit Bleibuir ist Bergbuir – 1260 Berburen, 1327 Begburne –, im Volksmund heute "Berpe", davon verderbt der Flurname "im Beipert", ehemaliger herrschaftlich Blankenheimer Hof. Wie bei Bleibuir haben wir auch wohl bei Heistert es mit einer frühmittelalterlichen Neubesiedelung eines schon zur Römerzeit bewohnten Terrains zu tun. Kall-Heistert – 1260 Heistat, 1351 Heystatt, zum Lande von Drymborn gehörend, 1411 Hiestart 31) – gehört zu den bereits fürs 8. Jahrhundert beglaubigten Hagendörfern. 32)

Siedlungsgeschichtlich folgt eine volkskundlich bedeutsame Gruppe von Orts- und Flurnamen, die auf die Einwanderung zahlreicher Wallonen zum Eifeler Bergbau im 11. und 12. Jahrhundert hinweisen. Es sind zunächst vier Dörfer, welche einen zusammenhängenden Raum südlich und südöstlich von Bleibuir einnehmen. Wallenthal wird in zwei Urkunden des Klosters Füssenich, 33) das in der Nähe inmitten eines großen Wald- und Heidekomplexes den Heidenhof kultivierte, i.J. 1157 Valendorp, 1194 Valindale genannt = "Welschendell", so noch heute ein Flurname bei Kall. Genauer ist das Herkommen der Siedler in den Namen des Dorfes Lückerath angezeigt: 34) Lutgenrode (1187), Luttingenrodde (1251), Lyckenrode (1503) weist mit aller Deutlichkeit auf Lüttich, 35) flämisch Luik, 822 Luticha, später Lutge. Daß auch Wielspütz hierhergehört, hat Oebekke, wohl geleitet von der bis heute erhaltenen Volkstradition, richtig gesehen; er irrt nur, wenn er den Namen als "vieil puits" = alter Stollen deuten möchte. Wielspütz, 1595 Weelsputz, so auch heute volksmundlich Weelspötz, ist die nämliche Bildung wie der Flurname "Wahlenpütz" bei Bergbuir. Hier, wo die Römer schon, wie wir sahen, Eisen gewonnen haben, weisen noch andere, heute fast zur Unkenntlichkeit entstellte Flurnamen auf die Bedeutung dieser "Wahlenpütze" 36) hin. So die Flurnamen "der Röver", "Röweschpfad", 1789 "Rauferspad" (!), auch "Boverschpad", Tranchot K.: Roversacker", in denen doch der Name des ehemaligen Bergreviers erhalten geblieben ist. 37) Voissel, 1546 Fosselen, ist wohl nicht wegen des "wasserflußgen, das dadurchfleußt" 38) von lateinischen "fossa" abzuleiten, sondern vom wallonischen "fosses" = Grubenfeld. An der Landstraße von Münstereifel nach Heimbach und Nideggen gelegen, ist es der Hauptort der Walendörfer geworden und Sitz eines jülischen Gerichtes, dem auch die andern unterstanden. Weitere Flurbezeichnungen, die von diesen aus Welschland von alters her gekommenen Bergknappen erzählen, sind die jetzt ganz von Bleisand bedeckte "Waellenschleid" (1512) nordöstlich Kalenberg, die "Wälschbach" – 1450 "Welspach" –, welche unterhalb von Kommern in die Bleibach mündet, endlich die von landfremden Geometern vor einem Jahrhundert in Wechselfahrt (!) umbenannte, aber seit 1570 urkundlich beglaubigte "Welschfahrt" (Karte Nr. 28), ein Fuhrweg bei Kall am Eingange des Schleidener Tales. Daß auch in jüngerer Zeit immer noch "Walen" auf dieser Straße an den Bleiberg gekommen sind, weisen insbesondere die Kirchenbücher des 16. und 17. Jahrhunderts aus, 39) ohne daß stets der Beziehung zum Bergbau gedacht wird. Bergfreiheit galt ja für "iglich man, uyß wat heren lande he ist" und werden im Bergweistum darunter "die Seeländer" ausdrücklich einbegriffen. Den fremdländischen Siedlern folgten im 13. und 14. Jahrhundert solche deutschen Stammes, welche nördlich und östlich von jenen rodeten. Zum Teil sind dieselben von dem heute verschwundenen Rittersitz Rath bei Strempt ausgegangen, welcher 1312 zuerst genannt wird. 40) Im Jahre 1322 überträgt dann Rabod von Rode seinen freien Hof Dydenrode, das heutige Denrath, Luxemburg zu Lehen auf. 41) Dydenrode wie andere gleichnamige Orte nach Förstemann vom Stamme thiud abzuleiden, würden heißen Volks- (deutsche!) Rodung. 42) Früher noch wird eine andere Rodung genannt, Schützendorf. Ein Ritter Konrad von Schussinrodde 43) schenkt 1251 dem Kloster Steinfeld Land in Lückerath; von einem Ritter Johann von Schuzendorp 44) lesen wir 1254. Die Volkssage bringt nun diese drei Rodeorte in der Weise zusammen, daß die Dienstleute des Hauses Rath zu Denrath, volksmundlich "Denerath", um sich vor der harten Behandlung ihres Herrn zu schützen, geflüchtet wären und den Ort Schützendorf gegründet hätten. Nachklänge der gleichartigen Entstehung der genannten Orte haben sich hier wohl mit der Erinnerung an den "gestrengen" jülischen Marschall Betram von Nesselrode-Rath, 1556, zu einer romantischen Deutung verwoben, die natürlich der Forschung nicht standhält. Zur richtigen Erklärung helfen wieder die Flurnamen. Die zwischen dem Dorfe und der ebenfalls sogenannten Schoßbach liegenden Fluren "im Schoß", "im obersten Schoß" erklären den Ortsnamen Schussinrodde als Rodung am abschüssigen Bach, oder besser noch Schoß, volksmundlich Schütz = Wehr aufgefaßt, ergibt sich Schützendorf = die zum Dorf gewordene Rodung am Wehr des Baches.

Auch das benachbarte Strempt – um 1450 Strempde – ist ein Rodungsname jüngerer Zeit, der soviel wie Gestrüpp bedeutet. Wie hier der Wald dem Bergwerk weichen mußte, so auch in dem südwestlich gelegenen weiten Grubenfeld "Kohlhau", wo das Holz zur Gewinnung der Kohlen gehauen wurde; so auch bei Dottel Flurname "auf Schießenbusch", wo die Reifen zum Bergbau genommen wurden; vgl. ao 1570 "Ehlenrod (= Erlenrodung) uff Schließenberg". 45)

Zu erwähnen sind noch zwei kleinere Siedlungen. Bescheid, so 1669, 1577 Miescheid, 1503 (N. va me) Scheide, 46) so genannt, weil das später von Blankenheim erworbene Kronenburger Hofgut dort die Grenzscheide zwischen Blankenheim und Jülich bildete. Die Anstoiser-, gemeinhin die Mastertmühle genannt, heißt wie der gleichnamige jenseits der Urft liegende Ort entweder von der Schweinemast in der dortigen nach Steinfeld gehördenden Mönchshardt, eigentlich "Masthart", schreibt sich wahrscheinlicher aber von dem Bergvorsprung ins Urfttal her 47): 1570 bei dem Anstoß, 1562 Maestos, 1612 Mastet. Weder das eine noch das andere ist jedoch der älteste Name. 1351 wird der Ort Hellenthal, nicht zu verwechseln mit Hellenthal a. d. Olef, und danach die Mühle die Hellenthaler Mühle 48) genannt.

Wir haben gesehen, daß die südwestliche Fortsetzung des großen Kermeterwaldes bis zu den Siedlungen der keltischen Erzgräber in der Linie von Kall-Keldenich über Scheven bis Kalenberg später von den Römern an manchen Stellen gelichtet, dann aber etwa vom 8. Jahrhundert an nach und nach bis auf kleine Horste ganz gerodet wurde, teils für die unmittelbaren Zwecke des Bergbaues, teils zur Ackernahrung für die Bergleute. Andererseits finden wir nun die auffallende Erscheinung, daß die Träger dieser wirtschaftlichen Kultivierung, die alten Herrschaftshöfe, sich noch vor der französischen Revolution fast sämtlich aufgelöst haben, parzelliert wurden oder ganz in private Hände übergegangen sind. Noch um 1650–1700 ist in den Kirchenbüchern von den Halfen (villici) in Scheven (wohl Sinzenicher Hofgut), in Dottel – wahrscheinlich auf der 1625 genannten Burg –, in Voissel – Flurname "auf dem Hof" – die Rede, später nicht mehr. So werden bereits zu Anfang des 16. Jahrhunderts die Ländereien des Steinfelder Mönchhofes in Lückerath in sieben Teilen in Erbpacht gegeben; in folge der unruhigen Kriegsläufe, wo so viele Höfe gebrandschatzt wurden, dann aber auch wohl infolge der lohnenden Betätigung im Bergwerk ist dieser Auflösungsprozeß in den folgenden Jahrhunderten immer allgemeiner geworden. 49)





II. Wasser- und Landstraßen









Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, Heft 129, 1936, S. 51–78.
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